AA

100-Prozent-Förderung der Anschlussunterbringung Geflüchteter

10. Dez 2024

Oberbürgermeister Frank Schneider wendet sich per Brief an Land und Bund.

Oberbürgermeister Frank Schneider


Am 1. Oktober 2024 hat der Gemeinderat der Stadt Mühlacker aufgrund der wachsenden finanziellen Belastung einstimmig beschlossen, bei Land und Bund eine 100-prozentige Kostenübernahme für die Flüchtlings- und Anschlussunterbringung zu fordern.

Oberbürgermeister Frank Schneider hat daraufhin im Namen der Stadt einen Brief an Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Bundeskanzler Olaf Scholz verfasst, in dem er auf die Problematik aufmerksam macht und eine entsprechende Lösung fordert.

Der Brief ist im Folgenden einsehbar:

Bundeskanzleramt
Bundeskanzler
Olaf Scholz
Willy-Brandt-Straße 1
10557 Berlin

Staatsministerium Baden-Württemberg
Ministerpräsident Winfried Kretschmann
Richard-Wagner-Str. 15
701 84 Stuttgart

9.12.2024


100-Prozent-Förderung der Anschlussunterbringung Geflüchteter

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler Scholz,
sehr geehrter Herr Ministerpräsident Kretschmann,

bereits vor zwei Jahren erhielten Sie zur kritischen Lage der Enzkreisverwaltung und der Enzkreiskommunen einen von Landrat Rosenau und Bürgermeister Schmidt – als Sprecher der Enzkreis-Bürgermeister und Vertreter des Gemeindetags – verfassten Brandbrief. Darin wurde die finanzielle und personelle Not der Kommunen und Kreise detailliert erläutert.

Zusätzlich wende ich mich nun konkret in Sachen Finanzierung der Flüchtlingskosten an Sie. Während die Erstunterbringung der Geflüchteten von der Politik und vom Staat als eigenständige Aufgabe anerkannt und finanziell gefördert wird, ist die Höhe der weitergeleiteten Bundesmittel für Aufwendungen für Geflüchtete unzureichend. Bund und Land gehen davon aus, dass dies Aufgabe der Kommunen im Rahmen der üblichen Obdachlosenunterbringung und Integrationsarbeit sei. Diese ist jedoch nicht vergleichbar mit der inzwischen permanenten – rein politisch entschiedenen – Zuweisung von Flüchtlingen. Sowohl die Kausalitäten als auch die Qualitäten und vor allem die Quantitäten sind völlig und eklatant anders gelagert! Diese zusätzliche Aufgabe wird jedoch einfach an die Kommunen durchgereicht und diese mit der Problematik weitgehend allein gelassen.

Unser Gemeinderat hat deshalb am 1. Oktober 2024 einstimmig beschlossen, beim Bund und beim Land zu beantragen, dass die Kosten für Flüchtlings- und Anschlussunterbringung zu 100 Prozent übernommen werden.

Art. 28 des Grundgesetzes garantiert den Gemeinden das Recht, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Der Bund gewährleistet, dass die verfassungsmäßige Ordnung der Länder den Grundrechten entspricht. Artikel 71 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg garantiert den Gemeinden das Recht der Selbstverwaltung. Sie verwalten ihre Angelegenheiten im Rahmen der Gesetze unter eigener Verantwortung:

Den Gemeinden kann durch Gesetz die Erledigung bestimmter bestehender oder neuer öffentlicher Aufgaben übertragen werden. Gleichzeitig sind Bestimmungen über die Deckung der Kosten zu treffen. Führen diese Aufgaben, spätere vom Land veranlasste Änderungen ihres Zuschnitts oder der Kosten aus ihrer Erledigung oder spätere nicht vom Land veranlasste Änderungen der Kosten aus der Erledigung übertragener Pflichtaufgaben nach Weisung zu einer wesentlichen Mehrbelastung der Gemeinden, so ist ein entsprechender finanzieller Ausgleich zu schaffen!
Dieser in der Verfassung festgeschriebene finanzielle Ausgleich ist nicht gewährleistet.

Erinnern darf ich in diesem Zusammenhang, dass die damalige Präsidentin des Baden-Württembergischen Städtetags, Frau Bosch, schon im Juli 2015 eine „auskömmliche Erstattung der Betreuungs- und Unterbringungskosten für die Anschlussunterbringung“ gefordert hat.

Dabei geht es nicht nur um die rein baulichen Kosten und deren finanziellen Mehraufwendungen. Vielmehr geht es auch um den zusätzlichen Aufwand, z.B. zusätzliches Personal zu suchen und zu finden, um die Aufgabenzuwächse innerhalb der Verwaltung abzufangen. Dies wird durch den Fachkräftemangel erschwert und durch die demografische Entwicklung nochmals verschlechtert. Es betrifft das Gebäudemanagement, den Zusatzbedarf für Kindergärten und Schulen, Vorbereitungsklassen, Bildungspaten, Sozialarbeiter, Verwaltungspersonal sowie Flüchtlings- und Integrationsbeauftragte. Aufwändig sind auch Integrationskonzepte für Geflüchtete – auch vor dem Hintergrund fehlender Bleibeperspektiven der meisten Flüchtlinge – die Vermittlung von Arbeitsgelegenheiten und Wohnungen oder die Fortführung und der Ausbau niederschwelliger Deutschkurse etc.

Die Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum in Mühlacker ist hoch und die Situation verschärft sich zunehmend. Es herrscht ein deutlicher Mangel an erschwinglichen Mietwohnungen, wovon zwischenzeitlich verschiedene Bevölkerungsgruppen in unserer Stadt betroffen sind. Entsprechend herausfordernd gestaltet sich die Suche nach privatem Wohnraum für die Unterbringung von Geflüchteten, wodurch sich der Druck auf den einheimischen Wohnungsmarkt noch weiter erhöht. Ohne kostenintensive eigene bauliche Lösungen wird es nicht möglich sein, der Unterbringungsaufgabe adäquat gerecht zu werden.

Zusammenfassend geht es uns elementar um die Aufrechterhaltung unseres verfassungsmäßig garantierten Selbstverwaltungsrechts, das ohne finanziellen Spielraum gegen Null tendiert. Dies nimmt uns unsere Rechte und Gestaltungmöglichkeiten und beeinträchtigt ferner auch die Erfüllung vieler anderer Pflichtaufgaben sowie die Daseinsvorsorge für unsere Bevölkerung dauerhaft. Dies gilt auch und gerade vor dem Hintergrund eines Millionendefizits in unserem städtischen Haushalt, an dem auch die enorm gestiegene Kreisumlage Anteil hat, da bekanntlich auch der Enzkreis durch direkte und mittelbare Kosten der Flüchtlingsaufnahme belastet ist.

Unser verfassungsmäßig garantiertes Recht auf Selbstverwaltung ist derzeit nicht nur gefährdet, sondern es besteht faktisch nicht mehr, weshalb wir dringend auf die Einhaltung des Konnexitätsprinzips pochen.


Mit freundlichen Grüßen

Frank Schneider